… und warum manche diesen verlieren…!
Seit einiger Zeit denke ich darüber nach, gerade nach dem Dr. Johannes Wimmer (NDR) bekannt gegeben hat, dass seine Tochter einen unheilbaren (wobei es 15% gibt, die es durchaus schaffen!) Hirntumor hat, die Geschichte von unserem Junior öffentlich zu machen. Sicher, dass was wir durch gemacht haben, ist nicht mal ansatzweise mit dem zu vergleichen, was die Familie Wimmer aktuell durch macht. Bestimmt nicht, aber ich möchte eins: Verständnis von der Gesellschaft, wenn wir Eltern in solchen Situationen einfach mal nicht funktionieren können; nicht immer am Tagesgeschehen teilnehmen können.
Rückblick:
9 bzw. 10 Monate verliefen soweit komplikationslos, so wie sich das jede werdende Mama wünscht. Als aber der ET überschritten wurde und schon davor “drohte” mein Doc mit der Einleitung, war mir noch gar nicht klar, was da auf uns zu kommt. Nachdem unsere eigentliche Wunschklinik die Aktion abwies, redete mein Mann mit Engelszungen auf mich ein Buxtehude zu nehmen. Im Nachhinein bin ich dafür dankbar, denn man zweifelt ob die eigentliche Klinik die Probleme entdeckt hätten. Also ging es zwei Tage später nach Buxtehude, man freute sich auf die ersten Minuten nach der Geburt. Eine Einleitung nach Wunsch (homöopathisch, Akupunktur) und irgendwann, Stunden später, ging es los. Jedoch am späten Abend waren die Schmerzen so unerträglich und wenn ich das meine (der, der Schmerzen ab kann), dann kamen sie direkt aus der Hölle dass ich entkräftet um Schmerzmittel bat um etwas durchatmen zu können. Problem war, dass unser Junior so tief im Becken saß dass die Wehen eher die normalen Schmerzen waren. Irgendwann, ich weiß nicht mehr wann, hab ich nur noch die Arme nach unserem Sohn ausgestreckt und ich hatte ihn endlich im Arm. Damals bei der Großen hat man den Blutzucker nicht gemessen, was jetzt aber wohl schon Standard gehört. Bei ihm war er schlichtweg nicht messbar, wir versuchten ihn mit Muttermilch/Pre Nahrung hochzukriegen, aber es klappte nicht. Während wir nun da lagen, ich es immer wieder versuchte und nebenbei bemüht war zu kräften zu kommen kam am frühen Morgen die Ärztin zu mir und teilte mir mit, dass Junior nach Stade verlegt werden müsse. Dass der Zucker nicht messbar sei, passiert vielen, also wenig dramatisch. Jedoch können die in Buxtehude nichts mehr für ihn tun. Wie reagiert man als frischgebackene Mutter, die wenige Stunden nach der Geburt nicht nach Hause kann? Ich weiß es nicht. Auch JETZT nicht! Meine Devise ist immer noch: positiv denken! Und das tat ich auch. Mein Mann fuhr kurze Zeit später nach der Geburt nach Hause um Schlaf nachzuholen. Da ich mich gut aufgehoben fühlte, wars auch okay. Somit war klar, Junior kommt für einige Tage nach Stade um Infusionen zu kriegen. Ich rief also meinen Mann an, fragte wo er war und dass es Probleme mit der Entlassung gäbe. Ich hau doch sowas nicht am Telefon raus, während er am Steuer sitzt…!
Als er rein kam, wurden die Kollegen aus Stade schon informiert. Ich erzählte ihm alles und als ich mich frisch machte, legte ihm seinen Sohn in die Arme (die Hebamme aus dem Frühdienst wollte ihn nehmen, jedoch bestand ich darauf…), während ich packte usw.. Als die beiden vom Elbeklinikum Stade ins Zimmer kamen, ging mir persönlich der Hintern auf Grundeis. Während der plötzliche Migräneanfall meine letzte Kraft raubte, hielt ich meinem Sohn die Hand als sie einen Zugang legen wollten, sprach ihm gut zu, dass er bald nach Hause kann und wir sofort hinterher fahren werden. Das Team aus dem EK Buxtehude war toll und ich bedankte mich beim Abschied. Nun, trotz Migräne und Sehstörungen brannte sich ein Bild in meine Seele: ich sah meinen Sohn, der noch nicht mal 12 Stunden alt war, in einem mobilen Brutkasten mit Zugang in der Hand!
Wir frischgebackenen Eltern sitzen im Auto und fuhren dem Sondertransport hinterher und ich weiß noch, dass das Wetter plötzlich umschlug.
In Stade angekommen, sagte man uns welche Station und dass man uns dann holen werde. Dass es sich dann Kinderintensivstation nannte, war für mich zu viel und ich saß da im Vorraum und heulte plötzlich los. Dennoch immer im Kopf: wir schaffen das! Als wir auf die Station gelassen wurden, sah ich ihn in seinem Wärmebettchen liegen und wir lernten das “neue” Team kennen. Mein Mittagessen (es war sogar Kartoffelsuppe) stand da und wartete auf mich. Ich wurde also gleich mitversorgt. Angeschlossen an Monitoren, Pulsmesser… Jede Menge Kabel und die Infusion. Man sagte uns, 3–4 Tage und dann sollte es gewesen sein. Gegen Nachmittag stellte sich dann heraus, dass bei der Blutuntersuchung die Thrombozyten massiv niedrig waren und das kann, im allerschlimmsten Notfall, tödlich enden. Die Entscheidung, meinem Kind Fremdblut geben zu lassen musste ich an diesem Nachmittag, fast frühen Abend, alleine entscheiden und ich fühlte mich in diesem Moment so allein mit ihm aufn Arm. Die Papiere neben mir liegen, die Einwilligung und was als Nebenwirkung passieren kann. Da sein Immunsystem noch nicht ausgereift war, war eine mögliche Komplikation also ausgeschlossen. Um das Leben meines Sohnes zu retten, stimmte ich also zu! Anstatt dass er bei mir bleiben kann, kam er in den Ruheraum. Als wir ihn umbetteten und der Deckel runterfuhr, musste ich den Raum verlassen. Es sah aus wie ein Kindersarg und das war einfach zu viel für mich. So saß da nun allein im Zimmer, am heulen und wäre am liebsten ausgeflippt. Laut zu schreien, was der Scheiß soll und warum ausgerechnet wir?!
Zwischen schlaflosen Nächten, Behördenkram und ständig neuen Mitteilungen (Fremdblut wurde gut angenommen, der Zucker wollte jedoch nicht) schöpften wir trotzdem jeden Tag Hoffnung, tauschten uns eng mit den Ärzten aus, mit den Krankenschwestern (die haben einfach einen grandiosen Job gemacht!). Doch dann bemerkte ich, dass der Großen alles zu viel wurde und meinem Mann auch. Die tägliche Pendelfahrt zwischen Neugraben und Stade, wenig Schlaf, ständig hohe Konzentration forderten ihren Tribut und ich entschloss mich schweren Herzens dazu, die zweite Woche abends in Hamburg zu verbringen und glaubt mir, jeden späten Nachmittag von Junior zu gehen tat weh, obwohl er sich immer mehr stabilisierte. Ich musste jedoch auch an die anderen beiden denken, obwohl doch ICH an der Reihe war. Pustekuchen…
Ob ich mit dem Gedanken gespielt habe, eines Tages OHNE mein Sohn nach Hause zu fahren? Ja, besonders am Anfang! Ich versuchte aber diese mögliche Realität zur Seite zu schieben, aber ich musste mich kurz mit seinem möglichen Tod auseinandersetzen. Aber wir schafften es positiv zu bleiben, obwohl man viel weinte, nachdachte und ich immer wieder Nico Santos abspielte. Safe, was seitdem SEIN Lied ist (dazu kam jetzt Spring von Silly). Ich sang es ihm leise vor, zusammen mit Seite an Seite von Christina Stürmer. Ich erzählte ihm, dass ich ihm auf die Hand versprechen werde IMMER an seiner Seite zu sein egal was kommen mag; dass ich ihm die Nordsee (Cuxhaven) zeigen werde und die Elbe, dass wir in den Wildpark fahren werden (schon längst getan, Elbe auch). Jeden Tag, zwei Wochen lang sprach ich ihm Mut zu, dass ein Fast-Denecke nicht aufgibt sondern kämpft. Und diese 12 Tage bangen und hoffen haben sich gelohnt. Am 18.7.2019 konnten wir ihn mitnehmen!
Und jetzt?
Heute ist er kerngesund (beidseitige Hüftdysplasie und Ohrenprobleme kamen hinzu, sind aber ausgestanden) und ist ein ganz normales Kleinkind mit seinen altersgerechten Wehwehchen und ganz zu Anfang, als er endlich Zuhause war, flammten natürlich Ängste auf, was passiert beim Rückfall?! Wieder Klinik? Wieder lange Tage dort verbringen? Doch Rückfälle sind so gering, dass wir inzwischen wissen wie es aussieht wenn es ihm wieder schlechter gehen soll.
Dann kam der Sommer 2020, als ich das mit der Tochter von Dr. Wimmer erfuhr. Da sah ich mich wieder auf der Kinderintensiv, bangen, heulend (ich betone gerne noch mal: das ist kein Vergleich zu dem, was die Familie gerade durch macht!). Ich sah erst einige Tage später das Interview in der NDR Talk Show und ich flennte, denn ich weiß wie sich der Kampf anfühlt und leider werden sie diesen Kampf nicht schaffen. Gestern Abend las ich dann auf Instagram ein Update und ich freute mich so, Vater und Tochter zusammen zu sehen bis… Ja bis ich dann den Artikel gelesen habe und mir schossen die Tränen in die Augen. Nein, dachte ich, du solltest doch zu den 15% gehören, die es schaffen… Natürlich schrieb ich ihn erstmals Privat an und er muss auch nicht reagieren. Diese Familie ist so stark, dafür gibt es keine Worte und ich wünsche den von HERZEN wirklich nur das allerbeste, dass sie trotz dieser Situation eine gemeinsame, intensive Zeit haben. Man leidet hier mit, man hofft mit und nun hofft man, dass ihnen noch eine gewisse Zeit bleibt als Familie. So wie er schrieb: Normalität!
Falls Ihr den Artikel von der Mopo lesen wollt: https://www.mopo.de/hamburg/traurige-gewissheit-tochter-von-hamburger-tv-arzt-liegt-im-sterben-37482432
Bitte vergesst nicht: auch wir Eltern sind Menschen. Eltern mit Ängsten, Emotionen und wenn wir nach solchen Ereignissen über manche Dinge nicht mehr lachen können oder einiges nicht mehr so locker sehen wie früher… Nehmt es uns nicht übel! Solche einschneidende Erlebnisse verändern von Grund auf!
Es grüßt Euch
Euer Leseherz